Deutsches Grundgesetz hin, die UN-Charta der Menschenrechte her: Keineswegs sind alle Menschen gleich. Zumindest gilt es, sie in zwei verschiedene Gruppen zu unterteilen. Nämlich die Menschen, die Bücher heiß und innig lieben, und die, denen ein Buch nicht ins Haus, geschweige denn auf den Nachttisch kommt.

Bei dieser Klassifizierung kann man übrigens die Zwischenform der gelegentlichen Leser geflissentlich unter den durch ein Buch vom Wackeln abgehaltenen Tisch fallen lassen. Schließlich geht es hier um einen Extremfall des Bücherkonsums. Während nämlich Nicht-Leser bislang ohne griffige Bezeichnung blieben – „Bücherhasser“ hat sich nicht so recht durchgesetzt -, haben Dauerleser einen aussagekräftigen Namen abbekommen: Man bezeichnet einen Menschen, der einen großen Teil seiner Existenz mit seiner Nase zwischen zwei Buchdeckeln bestreitet, gemeinhin als Bücherwurm.

Jemand, auf den die Bezeichnung zutrifft, mag sich durchaus geschmeichelt fühlen, jedoch bietet sie Nicht-Lesern genauso eine gewisse Angriffsfläche.

Schließlich verkriecht sich ein Bücherwurm – zumindest in ihrer einseitig geprägten Vorstellung – am liebsten ins schützende Dunkel seines bis zur Zimmerdecke reichenden Bücherhaufens und würde sich gerne ausschließlich davon ernähren, sich von Buchdeckel zu Buchdeckel durch jedes einzelne Buch durchzufressen, das er besitzt.

In letzter Zeit gewinnt jedoch eine dritte Gruppe immer mehr an Bedeutung – und an Mitgliedern, die sie sowohl aus den Reihen der Bücherwürmer als auch aus denen der Bücher-Ignoranten rekrutiert. Es handelt sich um Leser, die vermehrt zum E-Book-Reader greifen. Der technische Fortschritt macht es nämlich möglich, ein noch so dickes Buch in digitaler Form auf ein flaches und handliches Lesegerät zu transferieren.

Das zieht zunächst die Menschen an, die sich für technische Spielereien interessieren, und die sind – man verzeihe das Klischee – eher weniger am Lesen interessiert.

Ein elektronisches Buch kann sie jedoch unter Umständen auch für sich gewinnen. Aber auch der Bücherwurm sollte sich freuen können, entlastet das E-Buch-Lesegerät doch seine arg beanspruchten Schultern, die normalerweise auf allen Wegen mit Taschen behangen sind, die selten weniger als drei Bücher beinhalten. Nach dem Motto: Was mache ich denn, wenn ich mit dem einen Buch fertig bin, das ich gerade lese, und noch nicht zu Hause bin, um gleich mit dem nächsten zu beginnen?

Trotzdem hat kaum ein Bücherwurm eine positive Meinung von den vermeintlich segenbringenden Errungenschaften von Kindle und Co. Für ihn bergen echte Bücher aus Leim und Papier nicht nur den unschätzbaren Reiz, dass man durch sie in eine ferne Welt abtauchen oder reichhaltige Mengen an Informationen in sich einsaugen kann. Denn das geht ja mit einer Datei auch. Ein echter Bücherwurm braucht das Gefühl, das Buch auch wirklich und wahrhaftig in der Hand halten und darin physisch blättern zu können.

Den Fakt ignorierend, dass im schlimmsten Fall ein wehrloser Baum dafür sterben musste, saugt er den Geruch eines frisch gedruckten Buches in sich ein, lässt die Seitenränder ohne Angst vor einem schmerzhaften Papierschnitt an seinen Fingerkuppen entlang gleiten und macht aus jedem Umblättern eine regelrechte Prozedur. Für manchen Bücherwurm ist es sogar die Befriedigung schlechthin, in einem Antiquitätenladen ein uraltes, für die ungeschulte Nase muffig riechendes Buch zu finden, es voller Stolz nach Hause zu tragen und dort in seine Sammlung einzufügen.

Für ihn ist es nämlich ein Sakrileg – und zwar nicht der Thriller von Dan Brown, denn der kam seinerzeit ausschließlich in gedruckter Form auf den Markt -, besagte Büchersammlung in einem kleinen Computer zu verstecken, statt sie in großflächigen, ganze Wände einnehmenden Regalen zu präsentieren, gerne nach Farbe oder Verlag, alphabetisch nach dem Nachnamen des Autoren oder der Höhe nach sortiert.

Das Grausen kommt dem echten Bücherwurm, wenn er seinen Gästen, angesprochen auf seine Lieblingsbücher, seinen E-Book-Reader vorzeigen und auf den Ordner verweisen muss, den er schnöde mit „Meine Lieblingsbücher“ betitelt hat.

Jedoch, so lautet die alarmierende Wahrheit: Der echte Bücherwurm ist im Aussterben begriffen. Auf Grund der allgemein um sich greifenden Bequemlichkeit des Menschen verstehen es viele als Segen, von der heimischen Couch aus via Internet mit wenigen Klicks (oder Fingertapsen) ein neues Buch zu ordern, statt sich stundenlang durch die engen Regalreihen der immer seltener das Stadtbild zierenden Bücherläden zu drängen und nach dem zur aktuellen Stimmung passenden Buch zu suchen.

Dazu kommt die bereits angesprochene Last, die ihnen von den Schultern genommen wird. Früher – und das ist gerade einmal ein paar Jahre her – konnte man sich gut und gerne einen dauerhaften Haltungsschaden zuziehen, wenn man unterwegs war, einen Band von „Harry Potter“ (bevorzugt einen der letzten der Reihe, die wurden ja immer dicker mit der Zeit) noch nicht ganz ausgelesen hatte und zur Sicherheit gleich den nächsten mit sich trug.

Heute, im digitalen Zeitalter, lädt man problemlos alle sieben Bände auf sein Lesegerät, und „Das Märchen von Beedle dem Barden“ gleich noch mit dazu. Mal abgesehen von den hunderten anderen Büchern, die auf so ein elektrisches Buch passen. Kein Wunder, dass bei solch überzeugenden Vorteilen ein Bücherwurm nach dem anderen die digitale Variante des Lesen der analogen vorzieht.

Ja, der Bücherwurm stirbt aus. Aber die Bäume der Erde werden es ihm auf lange Sicht danken. Und vielleicht finden ja immer mehr Bücherwürmer Gefallen daran, sich durch die Platinen, Prozessoren und Mikrochips eines E-Book-Readers zu fressen. Es wird ihnen nicht so gut schmecken wie Papier, und E-Book-Reader-Wurm klingt nicht ganz so schön, aber das ist einzig und allein eine Frage der Gewöhnung.

 

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