Sturm
Da braut sich was zusammen

Am 13.02.13 sendete die ARD um 22:45 Uhr einen Bericht über die Arbeitsbedingungen spanischer Leiharbeiter bei amazon (Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon).

Es ging ein Aufschrei durch die Nation. Selbst chinesische Zeitungen berichteten über die schlechten Arbeitsbedingungen in Deutschland. Man war empört.

Bekannte Rechtsradikale als Sicherheitspersonal! Zeitarbeiter, die über Zeitarbeitsfirmen zu schlechterem Lohn beschäftigt werden, als ihnen ursprünglich versprochen wurde! Schlechte Unterbringung und vieles mehr lösten ein im Internet als „Shitstorm“ bekanntes Phänomen aus. Kunden drohten damit, ihre Konten zu kündigen, viele schlossen tatsächlich ihre Konten (und wer ein kindle eBook Reader besitzt, musste die Erfahrung machen, dass er damit auch alle seine gekauften Bücher verlor, die ebenfalls gelöscht wurden), andere hinterließen empörte Kommentare auf der facebook Seite des Konzerns.

Der Skandal zog solche Kreise, dass sich selbst Ursula von der Leyen genötigt sah zu reagieren, und damit drohte, der Zeitarbeitsfirma Trenkwalder (bei der der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt von 2007-2008 Aufsichtsratsvorsitzender war), über welche die ausländischen Hilfskräfte eingestellt wurden, die Lizenz zu entziehen.

Dieser Aufschrei der Empörung verwunderte sicherlich nicht nur amazon, sondern vor allem jene, die schon lange um die Zustände beim amerikanischen Großkonzern wussten. Bereits seit 2011 gab es kritische Berichte über die Arbeitsbedingungen bei amazon. Im Mai 2011 berichtete bereits der Buchreport in seinem Bericht „Leiden an der Logistik“ über „harte Arbeit unter hohem Druck“. Report Mainz berichtete im November 2011 in seinem Beitrag „Angst bei Amazon“ darüber, dass der Konzern, seine Mitarbeiter durch befristete Kettenverträgen unter Druck setzt und in permanenter Unsicherheit hält.

Auch die Süddeutsche Zeitung berichtete bereits 2011 in ihrem Artikel „Weihnachtselfen im Praktikum“ über Hartz-IV-Empfänger, die als kostenlose, vom Staat gezahlte Praktikanten bei Amazon arbeiten mussten und teilweise auch mehrfach kostenlose Praktika bei amazon auf Hartz IV absolvieren mussten. Sozialminister Guntram Schneider (SPD) wollte daraufhin im November die „offenbar skandalöse Praktiken bei der Beschäftigung von Aushilfen” untersuchen, da er bezweifelte „ob diese Praxis legal ist”.

Danach wurde es wieder still um die Arbeitsbedingungen bei Amazon, bis Juni 2012, als sich die Augsburger Allgemeine des Themas annahm (Druck und Überwachung: Mitarbeiter kritisieren Arbeitsbedingungen, Augsburger Allgemeine, 12.07.2012), selbst die Gewerkschaften hatten Amazon bereits lange im Visier (Gewerkschaft kritisiert Arbeitsbedingungen bei Amazon in Rheinberg, Der Westen, 10.5.2012).

Auch hier wartete man noch vergeblich auf einen Aufschrei der Empörung, selbst als vor Weihnachten 2012 mehrfach im WDR (Ausbeuten und Absahnen), im SWR Marktcheck (Amazon: Hinter den Kulissen des Online-Giganten) und bei Zeit Online (Gnadenlos flexibel) über die Zustände berichtet wurde, störte das die Kunden nicht. Erst der ARD Bericht, zur besten Sendezeit, erreichte anscheinend genug Menschen, dass diese Zustände endlich auf Ablehnung stießen! Was war so anders an diesem Bericht, als an den vielen vorangegangenen, die bereits die gleichen Probleme anprangerten? War es die weinende spanische Lehrerin? War es die Tatsache, dass bekannte Neonazis ausländische Gastarbeiter bewachten?

Warum schrie die Nation nicht auf, als Hartz IV Empfänger zum Frondienst ins Amazon Lager geschickt wurden? Warum interessierte es keinen, dass deutsche Angestellte sich über die Arbeitsbedingungen schon vor Jahren beschwert hatten und es bis dahin keine Betriebsräte gab? Warum löste erst dieser Bericht, diese Welle der Empörung aus? Und warum, fragt man sich, empört man sich nur über amazon, und warum nur über die Arbeitsbedingung der Leiharbeiter? Ist das nicht ein wenig kurzsichtig?

Der Konzern hat viel mehr als nur das auf dem Kerbholz. Er beutet kleinere Verlage aus, die nun die Zusammenarbeit mit dem Konzern aufkündigen. Wie andere multinationale Konzerne zahlt amazon kaum bis keine Steuern („Amazon ist bekannt für seine kreative Buchhaltung und weist für sein Deutschland-Geschäft Verluste aus. Das schadet nicht nur dem deutschen Staat, sondern allen Wettbewerbern, die sich gegenüber ihren Mitarbeitern fair verhalten. “ http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/faz-net-fruehkritik/fruehkritik-leiharbeiter-bei-amazon-made-in-china-12080064.html), die auf dem Marketplace vorgeschriebene Preisparität wird nun (2 Jahre nach der Einführung) endlich vom Kartellamt untersucht (nachdem hood.de geklagt hat). Alles das jedoch, bewegt sich innerhalb der Gesetze, die unsere Politiker gemacht haben. Alles das ist legal und nicht nur bei amazon.

Es ist scheinheilig nun amazon anzuklagen und schon fast als Ablenkungsmanöver aufzufassen, wenn man nun bei diesem einen Großkonzern anprangert, was fast alle Konzerne, der Einzelhandel und auch der Deutsche Bundestag selbst betreiben. Auch der Bundestag beschäftigt Leiharbeiter und auch diese müssen aufstocken .

Alle (Groß-) Konzerne und vor allem der Staat, die Städte und Gemeinden beschäftigen Leiharbeiter und befristetes Personal, das sie vorher selber ausgelagert haben und behandeln befristete Mitarbeiter, Leiharbeiter und Zeitarbeiter wie Angestellte zweiter Klasse mit eingeschränkten Rechten, aber das ist legal. Solange der Staat selber von dieser Gesetzeslage profitiert, solange die Politik diesem Treiben generell einen Riegel vorschiebt, wird sich nichts ändern und schon gar nicht, solange Konzerne in Brüssel die Gesetze schreiben, darunter auch amazon (http://lobbyplag.eu/#/compare/overview).

Diese Bedingungen sind Folgen der Deregulierung der Arbeitsmärkte und nicht spezifisch für amazon. Es ist an den Politikern, die Gesetze so zu gestalten, dass Konzerne Steuern zahlen müssen, dass Konzerne sich an soziale Spielregeln halten müssen. Solange Menschen vom Staat unter Androhung des Entzugs der Lebensgrundlage dazu gezwungen werden können, kostenlos für Großkonzerne zu arbeiten, solange Arbeitslose vom Staat in die Leiharbeit getrieben werden und die Behörden selber von dieser Gesetzeslage profitieren, ist es mehr als scheinheilig die Schuld allein amazon zuzuschreiben.

Amazon hat sich vieles zu Schulden kommen lassen, aber alles das bewegt sich im Rahmen der geltenden Gesetze, und das wird nun auch den Kunden klar. Leider nicht in der Art und Weise, wie man es sich wünschen würde. Mittlerweile nehmen die Berichte zu, in denen propagiert wird, dass es so schlimm nicht wäre, dass der ARD Bericht übertrieben hätte und dass andere das auch so machen würden, und damit ist es anscheinend wieder in Ordnung, denn woanders ist es auch nicht besser.

Nach langem Schweigen sah sich auch amazon irgendwann zu einer Stellungnahme gezwungen und reagierte, indem der Konzern die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Sicherheitsdienst beendete (18. Februar 2013). Es gibt erste Betriebsräte an zwei von acht Standorten, dennoch will amazon weder mit Verdi verhandeln, noch mehr zahlen (http://www.n-tv.de/wirtschaft/Amazon-Chef-will-Betriebsraete-article10172531.html). Immerhin, laut Kleber wird geprüft „welche weiteren Konsequenzen wir noch ziehen werden.“

Schon 10 Tage nach diesem Bericht ebbt die Welle der Empörung ab und amazon Kritikern weht langsam aber sicher wieder ein kalter Wind entgegen. Es mag zynisch erscheinen, aber solange die Menschen, denen es finanziell gut geht sich nicht mit denen solidarisieren, die in befristeten Verträgen stecken oder mit Leiharbeit über die Runden kommen müssen, solange diejenigen, die einen sicheren Job haben weiter auf jenen herumhacken, die arbeitslos sind, solange Hartz IV Empfänger stigmatisiert werden und jene mit einem unbefristeten Job der Meinung sind, wer keine Arbeit hat, ist selber schuld und hat dankbar zu sein, zu einem Lohn arbeiten zu dürfen, von dem er nicht leben kann, werden sich auch die Arbeitsbedingungen bei amazon nicht ändern. Das ist kein Problem das nur amazon betrifft, das ist ein Problem das ganz Deutschland betrifft.

 

Was ist aus dem Protest geworden? Hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit bei Amazon zu einem Umdenken geführt? Wie denken Sie darüber?

photo credit: Harald52 via photopin cc

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