Müllers Meinung ›Offener Brief proPDF/X!‹

Am 15. Januar starteten Expertenkollege, Trainer und Cleverprinting-Herausgeber Christian Piskulla, Colormanagement-Spezialist Jan-Peter Homann und pdfzone.de eine offene Diskussion – die Initiative »proPDF/X!«. Wie der Name der Initiative vermuten lässt, soll diese ein Plädoyer sein für PDF/X im Speziellen und die Nutzung international gültiger Standards und Normen im Allgemeinen.

Zu dieser Diskussion luden wir persönlich per E-Mail alle diejenigen ein, von denen wir glaubten, dass sie einen hilfreichen Beitrag leisten könnten zu einer Diskussion, die die Nutzung von PDF/X in den Fokus rückt. Irritierend ist die Reaktion auf unsere Initiative.

Keine Reaktion ist auch eine Reaktion!
Wir haben namentlich bekannte Personen zur Diskussion eingeladen:

* Vertreter und Abgesandte der Verbände für Druck und Medien, FOGRA und UGRA
* Experten und Vertreter in den Arbeitskreisen zur Standardisierung der ISO, ECI und Ghent PDF Workgroup
* Verantwortliche in der Medienproduktion – in Werbe-Produktionsagenturen, Vorstufenunternehmen, Druckereien
* Professoren der Hochschulen Wuppertal und Stuttgart
* Ansprechpartner bei Herstellern von Hard- und Software und deren Handelspartner
* Redakteure renommierter Fachzeitschriften

Wir waren erstaunt, dass wir keine direkte Reaktion erhielten. Haben wir ein Problem offen gelegt, dass auch PDF/X-Anwender erfahren? Es gibt keinen offiziellen Ansprechpartner für PDF/X oder niemanden, der sich zuständig fühlt. Wen soll man also fragen – an wen soll man sich wenden? Die ISO hat mit der Dokumentation der Norm ihre Pflicht erfüllt. Und nun? Wie geht es weiter?

Die Betroffenheit ist groß
Das jedenfalls zeigen die Reaktionen, die wir auf die Beiträge im Anwenderforum messen können. Anwender haben sich zu Wort gemeldet – zum Teil hilfesuchend, um Klärung bemüht oder um sich als Leidtragender auf die eine oder andere Art zu bekennen.

Von den bekannten Experten jedoch hört und liest man nichts. Von den oben genannten angesprochenen Personen hat sich nur einer zu Wort gemeldet: Olaf Drümmer, Gründer und Geschäftsführer der Callas Software GmbH. Die anderen schweigen. Was hat dieses Schweigen zu bedeuten? Fürchtet man, in die Diskussion einzusteigen? Oder hält man den Zug PDF/X für abgefahren?

Funktioniert PDF/X in der Schweiz besser?
Die Menschen, die sich mit ihren Problemen, Meinungen und Vorschlägen in der Diskussion an die Öffentlichkeit wagten, ernten Hohn aus der Schweiz. Über die proPDF/X!-Initiative heißt es dort: »in einschlägigen Online-Foren wird seit einiger Zeit lautstark darüber gejammert, dass PDF/X doch auch keine Lösung sei, weil ja niemand diesen Standard anwenden würde.« Statt sich auch aus der Schweiz mit geschätztem Expertenwissen an einer offenen Diskussion zu beteiligen, werden eigene Seminare beworben – geschmückt mit dem Hinweis, dass diese auch außerhalb der Schweiz angeboten werden.

Emotionen kochen hoch
Was ist die Ursache dafür, dass in Diskussionen so schnell polemisch wird, wenn es um handfeste und wichtige Standards und Normen geht? In den Foren geht es hoch und emotional her. Schnell liest man Meinung und Gegenmeinungen zum Output-Intent, wie:

* »Dient als Information für den Druckdienstleister (in welchem Farb-raum bzw. Verfahren Ihre Datei gedruckt werden soll)«
* »Ja, der böse Output-Intent. Wie viele ihre Daten gern in den USA drucken lassen wollten ist schon bemerkenswert, bei soviel SWOP.«

Für die Unverbesserlichen halten Zitate aus Handbüchern her:
»Ausgabe-Intentionen (Output Intents) beschreiben das endgültige Zielgerät (z. B. einen Separationendrucker), mit dem die Farbe im PDF-Dokument reproduziert wird.«

Auch auf sachlicher Ebene gibt es Für und Wider: »Das ganze Gerede um medienunabhängige Daten hat da viel mehr kaputtgemacht als geholfen.« Gefolgt von: »Aber wenn ich meine Daten weltweit an Druckereien versen-de ist PDF/X, ISOcoated und Prozess Standard Offset der kleinste gemeinsame Nenner der für 95% unserer Produkte taugt und von allen Beteiligten verlangt wird.«

Wo also ist der Konsens, die Gemeinsamkeit? Jeder Ansprechpartner in einem grafischen Betrieb ist immerhin Multiplikator einer bestimmten Ansicht und Meinung. Und damit Mitverantwortlicher für die Verbreitung von Standards und Normen in der grafischen Industrie. Die Verunsicherung beim Auftraggeber wächst, wenn er aus der einen Richtung hört: Ja, PDF/X funktioniert. Und aus der anderen: PDF/X klappt nicht. So riskieren alle Beteiligten, dass eine große Chance verrinnt. Nämlich die ISO-Norm PDF/X und ihre flächendeckende, korrekte Anwendung und Verbreitung voranzutreiben.

Worum geht es eigentlich?
Darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Vielleicht geht es gar nicht um die Norm und PDF/X. Vielleicht geht es darum, dass jeder lieber sein eigenes Süppchen kocht. Ein Süppchen, das sich deutlich von anderen unterscheidet. Es beginnt bei Software-Herstellern und ihren unterschiedlichen Umsetzungen der PDF/X-Prüfung. Es endet bei Dienstleistern in der grafischen Industrie, die Druckvorlagen quasi im Hausstandard erzeugt wissen wollen – mal so und mal so.

Und da ist dem Menschen wie auch den Unternehmen das Hemd näher als die Hose. Wie wäre es sonst zu erklären, dass selbst die Fachmagazine für Druck-/Medien-Produktion in ihren Mediadaten nicht auf die Anlieferung von PDF/X pochen, sondern stattdessen lieber auf ganz vage Formulierungen setzen wie: »Druckunterlagen: digitale Daten«, »Druckunterlagen: Digitale Druckunterlagen, 60er Raster/300 dpi«, »Datenformate: Druckfähige PDF-Dokumente (min. 300 dpi, CMYK)«. Sucht man in Mediadaten nach Druckunterlagen, die als PDF/X geliefert werden sollen, landet man bei anderen Medien – nicht aber bei Fachzeitschriften für die grafische Industrie.

Und was ist mit den offiziellen Stellen, wenn es die überhaupt gibt? Welche Meinung haben die Verbände und Institutionen, die PDF/X eigentlich als Voreiter vorantreiben sollten? Wo findet sich die Empfehlung: Druckvorlagen sind gemäß PDF/X-Norm anzuliefern, zu konvertieren und so lange es geht, zu verarbeiten?

Vielleicht geht es aber auch nur um wirtschaftliche Interessen? An PDF/X kann zunächst einmal niemand etwas verdienen – außer den Verwendern, denen genormte Druckvorlagen das Leben erleichtern. Das wäre dann die traurige Nachricht für PDF/X-Erzeuger, Unterstützer und Verwender. Diese sind für die genannten Institutionen, Unternehmen oder Interessensgemeinschaften vermutlich nicht attraktiv genug. Es sei denn, sie kaufen Programme und Updates, werden Abonnent einer Fachzeitschrift, (zahlendes) Mitglied in einer der genannten Organisationen oder buchen ein Training.

Alles reine Psychologie
Vielleicht geht es aber auch um reine Psychologie. Wann immer es um eine Verhaltensänderung geht, taucht ein fast natürlicher Abwehrmechanismus auf. »Das haben wir immer schon so gemacht«, heißt auch: Diese Verhal-tensweise ist Teil unserer Reputation, unseres Werdegangs – ja unserer Existenzberechtigung. Wenn wir auch nur einen Teil unserer erlernten Vorgehensweise in Frage stellen, gar über Bord werfen, sind wir wieder Lehrlinge – Neueinsteiger.

Der Callas-Chef brachte es in der proPDF/X!-Diskussion in pdfzone auf den Punkt. »Der Tenor muss jedenfalls sein: Macht drucken einfach! … Tja, das wirkliche Problem sitzt wie so oft an einer schwer zugänglichen Stelle: zwischen den Ohren.«

Verantwortung abgeben
Mal angenommen, niemand möchte PDF/X. Was wollen Anwender von grafischen Programmen und deren Dienstleister denn dann? Manchmal macht es mir den Eindruck, als wolle man nur eines: Verantwortung abge-ben. Und das auf ganz unterschiedliche Arten.

Wenn man zum Beispiel PDF/X als Druckvorlage annähme, würden viel-leicht Schwächen in Druckvorstufe und Druckprozess deutlich. Und, wer will das schon? Oder, wenn man eben kein genormtes PDF annimmt, kann man etwaige Fehlerquellen erst einmal woanders vermuten. Was sich kaum beweisen ließe.

Zum anderen lässt es sich wohl leichter leben, wenn die Softwarehersteller die Schuldigen sind: »Da werden ja falsche Voreinstellungen in Creative Suite und Distiller geliefert. So kann es bei uns nicht funktionieren.« Und man kann den Kunden scheinbar nicht beibringen, wie die richtigen Einstellungen zu machen sind. Da gibt man doch lieber 5 Jahre alte Job-Options raus. Da weiß man wenigstens, was man hat.

Augen zu und durch
Wie lang soll das so weiter gehen? Nach dem Motto »was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß« laviert ein Teil der grafischen Branche um Standards und Normen herum. Und die offiziellen Institutionen äußern sich nicht – außer in persönlichen Gesprächen. Von einem, der in Sachen PDF/X unterwegs ist, stammt das Zitat: »Die grafische Industrie ist keine Industrie.«

Jedem müsste doch klar sein, was es für die Branche bedeutet, Standards und Normen links liegen zu lassen: Automatisierungsversuche werden scheitern. Wer in seinen Workflow Daten mit variabler Qualität hinein wirft, wird kaum standardisierte Qualität herausbekommen – ist also von einer standardisierten Produktion weit entfernt.

Ich glaube nach wie vor, dass Standards und Normen, ebenso wie die daraus folgende Chance der Automatisierung, nicht etwa Arbeitsplätze gefährden, sondern sie eher sichern. Standards, Normen und Automatismen entlasten gutes und teures Fachpersonal vom Tricksen und Frickeln und davon, dem Kunden das Blaue vom Himmel herunter zu erzählen. Und sie machen Zeit und Kopf frei, sich zu konzentrieren auf Qualitätssteigerung, bessere Prozesse, Kundenkontakte und somit Bindung.

Das Potenzial für Fußangeln und Tücken in Druckvorlagen wächst mit jedem neuen Update von Branchenprimus Adobe. Die Norm als Chance links liegen zu lassen, heißt nicht nur Verantwortung wegzuschieben. Es ist im Sinne des Wortes »unverantwortlich«.

Quelle: Thomas müller,
Geschäftsführer value!netzwerk gmbh,
Mediator, Coach, Consultant für Kommunikation und Medienproduktion,
Herausgeber pdfzone.de

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